„Goodbye to my hair, my heart and my cunt. Goodbye to my soul, my skin and my mole“, heißt es im Soundtrack zu Karin Fisslthalers Videoarbeit Goodbye: In der Ausstellung Final Cuts nimmt Fisslthaler Abschied von generierten Körperbildern und erhebt den visuellen Schneideprozess zum künstlerischen Programm. Oberflächen von Körper, Gesicht und Kleidung – entnommen aus gefundenen Bildern Marilyn Monroes – werden mittels Messer und Schere seziert und neu collagiert. Mit ihren Cut-Out-Werken aus Papier kreiert Fisslthaler körperliche Leerstellen und Mutationen, die das Abbild von Marilyn in ein Geisterbild, in Schatten und Wolken verwandeln. Diese scheinbar oberflächlichen Eingriffe in das Material werden zu einschneiden- den Transformationen gängiger Körperabbildungen der Popikone. Marilyn wird zur Bildspur, zum Artefakt und in ihrer künstlichen Konstruktion fassbar: sei es durch die Absenz, die Umwandlung oder auch die reine Verdeckung ihrer Gestalt. Fisslthaler legt Marilyns Körper in seiner Haltung und seiner Position frei und unterstreicht mit der archivarischen Aneignung gefundener Tattoo-Fotografien zeitgleich den prozesshaften Status des Ikons: als Untote lebt Marilyn auf den Körpern ihrer Fans fort – Körper und Abbild verweben sich in ihrer (Un-)Endlichkeit.
Mit den Techniken des Cuts, der Collage und der Montage verweist Fisslthaler auf die ineinander fließen- den Übergänge zwischen Absenz und Anwesenheit, zwischen Imagination und Abbild. Ob auf Papier oder auf Video, Fisslthaler erschafft Wirkungsräume, die sich einer offensichtlichen Bedeutungszuschreibung verweigern. Im Videobild von Goodbye ist es der Split Screen, der die sich wiederholenden und differier- enden Rhythmen körperlicher Gesten aus Klassikern des Hollywood-Kinos zerlegt und neu gestaltet: Zur Verabschiedung wird geküsst, die Hand gegeben, die Schulter berührt, geschoben, gestossen und gewürgt. Der Abschied schafft Raum für Neues, hinterlässt Erinnerungen wie Bilder und birgt letztlich das Potential für Umgestaltung: Mit der Offenlegung des mehrdimensionalen Wirkungsraums der abgebildeten Körper verweist der Ausstellungstitel Final Cuts mitunter auf das nicht abgeschlossene, prozesshafte Arbeiten von Fisslthaler. Das Sammeln von Found Footage, die Erschaffung des eigenen Archivs, korrespondiert hier im- mer mit der Aneignung eingebrannter Körperbilder und ihrer Umformung – ein Bild wird ein Bild wird ein Bild. Lydia Nsiah
„We’re like crystal, we break easy“
mit dieser melancholischen Metapher beginnt der 2001 erschienene Song der Rockband „New Order“. Entgegen dem programmatischen Label erzählt der Text von der Haltlosigkeit, von Beziehungen und einer übergroßen Sehnsucht nach Liebe. Der nicht enden wollende Ruf „keep it coming, keep it coming“ hinterlässt das Bild einer emotional ungestillten Welt, der die Nähe abhanden gekommen ist. Es scheint, als würde Karin Fisslthaler in ihrem künstlerischen Werk nach einem visuellen Echo zu dieser Metapher suchen. Zu tiefst cineastisch geprägt, schwingt für sie in dem Bild des Kristalls vor allem eines mit: Es ist die Deleuze’sche Definition des filmischen Kristallbildes mit seinen tausendfachen Brechungen. Als solches bezeichnet der Philosoph Situationen auf der Leinwand, in denen aktuell Erlebtes, Vergangenes und Imaginiertes nebeneinander tritt, sich überlagert oder auch bis zur Auflösung durchdringt. Von besonderer Bedeutung sind dabei Dinge, die anderen Zeiten und Räumen entnommen zu sein scheinen. An ihnen entfalten sich Erinnerungen und Assoziationen. Sie brechen das Erleben des Gegenwärtigen auf. Zugleich schließen sie jedoch den einzelnen in seinen persönlichen Erfahrungshorizont ein. Die Gefährdung von subjektiver Stabilität oder anders gesagt: die Zerbrechlichkeit menschlicher Existenz ist auch hier ein Thema.
Die Arbeit Kollektion ist ein gutes Beispiel, um zu zeigen, wie die Künstlerin die Deleuze’sche Filmtheorie umsetzt. Der Titel ist der Modebranche entnommen und meint eine aufeinander abgestimmte Zusammenstellung von Musterstücken. Die „Ware“ mit der Fisslthaler handelt, ist jedoch von höchst ungewöhnlicher Art. In der Tiefe eines kleinen Schaukastens breiten sich Hände und Armglieder von verschiedener Länge aus. Mit größter Präzision und feinsten Instrumenten hat sie die Künstlerin aus Druckwerken herausgetrennt, die sie im Altpapier, im Antiquariat oder auf Flohmärkten findet. Dem Umlauf des täglichen Lebens entzogen, haben sie noch nicht Eingang in ein geordnetes Archiv gefunden. In ihrer papiernen Leiblichkeit, farbig und schwarz- weiß, tragen diese „cut outs“ den Fingerabdruck eines eben verlebten Lebens. Dazu kommt, dass sie nicht plan auf dem neutralen Untergrund fixiert werden. Freibeweglich und haptisch erfahrbar beanspruchen sie vielmehr das Recht auf eine eigenwertige Existenz. Schließlich sind sie Unikate. Und mehr noch: Gesten und Gebärden formen sehr konkret die unsichtbaren Objekte ihrer Begierden ab. Die Stimulation könnte nicht größer sein! Fremden Körpern entrissen, entäußern sie sich wie Surrogate verschiedener Lebenssituationen. Das geheimnisvolle Reich noch nicht verarbeiteter kollektiver Erinnerungen tut sich auf. Wir scheinen jedem einzelnen Arm einmal begegnet zu sein. Fisslthaler fischt im Fundus unserer Imaginationen.
Stärker noch ist die Suggestionskraft der beiden kleinformatigen Werkkomplexe Exhausted Hands und Silent Treatment. Hier hat die Künstlerin die Ausschnitte größer gesetzt und liefert dem Auge weitere Indizien für die Sphären, in denen die Hände handeln. Dabei arbeitet sie in Serien, arrangiert ähnlich wie Hans Eijkelboom eine visuelle Enzyklopädie typischer Erscheinungen des Alltages. Doch während der niederländische Künstler seine Porträts als „Bestandsaufnahmen der Straße“ (Sabine Vogel) im gewohnten Format bildlicher Archivierungen in Reihen nebeneinandersetzt und dabei den urbanen Individualismus als Utopie zu erkennen gibt, inszeniert Fisslthaler wie eine Regisseurin behutsam jeden einzelnen ihrer im übrigen „kopflosen“ Ausschnitte oder besser noch: Sie führt sie auf! Sie bringt sie auf die Bühne miniaturhafter Kabinettstücke!
Das Loslassen nackter Hände etwa, findet in der geschützten Intimität unterschiedlich großer Streichholzschachteln statt. Manches sogar bleibt dem Blick verborgen, denn sie sind nur zur Hälfte aufgezogen. Die in den Hosentaschen steckenden Hände machtbewusster Männer treten dagegen im Sichtfenster hoch gestellter Briefumschläge auf. Wir kennen diese „Requisite“ im Standardformat aus der geregelten Bürowelt. Dazu suggeriert die Reihung Uniformität und das Diktat gesellschaftlicher Konventionen.
Anders geht die Künstlerin in der Serie Social Network vor. Auch hier schöpft sie aus dem Repertoire an ausgeschnittenen Händen, doch fügt sie diese zu einer großen Collage zusammen. Nahezu ornamental setzt sich der Reigen über sechs gleichgroße Flächen mit den Maßen von 65 x 50 cm fort. Es entsteht der Eindruck einer seltsam körperlosen, fremdbewegten Menschenkette. Das Treffen zweier Hände, der berüh- mte Handschlag, glückt nur selten. Vielmehr überwiegt ein blindes, manchmal auch ins Leere laufende Fassen oder ein Aneinander-Hängen ohne ersichtliches Ziel. Bis- weilen schlägt die Kette Volten und kreist in kleinen Gruppen. Andere Hände bleiben ausgeschlossen und finden sich in der Selbstberührung zurecht.
Der Abdruck einer Hand zählt zu den frühesten Ausdrucksformen des Menschen überhaupt. Er ist die älteste Signatur des Homo sapiens, indexikalisch und selbstref- erentiell zugleich. Diese kulturelle Praxis allein beweist, dass die bewusst eingesetz- ten Potentiale einer Hand zu den Pfeilern von Zivilisation zählen. Über die Funktion eines bloßen Werkzeuges hinaus war und ist die Hand bis heute ein wichtiges Instru-ment zur Erkenntnisgewinnung: In ihrer feinfühligen Innenfläche ereignen sich Sen- sationen des subjektiven Empfindens genauso wie Vorgänge des objektivierenden Begreifens. Innen- und Außenwahrnehmung schmiegen sich aneinander. Auch Zählen ist schließlich ein Vermögen der Finger. Ganz wesentlich dienen Hände jedoch immer schon als nonverbales und universales Ausdrucksmedium. Unbewusste, wie kulturell codierte Inhalte werden über sie artikuliert. Durch die digitale Revolution hat sich die Funktion dieses Sinnesorganes allerdings verändert: Auge und Hand gehören heute getrennten Erfahrungswelten an. Die Fingerkuppen, die auf den glatten Oberflächen einer Computertastatur liegen, begreifen nicht das, was der Bildschirm dem Auge bietet. Auch in der Kommunikation verlieren sie an Wert. Händelose Emojis fluten seit den 90er Jahren den Bildschirm. Man könnte es als Emanzipation des Gesichtes von der Hand bezeichnen, doch mehr noch: Das Gesicht wird allerorts zu dem bevorzugten Ort nonverbaler Kommunikation. Es ist wiederum der Film, der uns seit langem darauf vorbereitet hat. Heute lesen wir in Gesichtern und nicht mehr aus Händen. Gesehene Nähe ist keine wirkliche Nähe. Wirkliche Nähe entzieht sich vielmehr dem Sehsinn. Das Social Network, das – von einsamen Händen bedient – viele Bildschirme verbindet, könnte bald den gesamten Globus umspannen, doch es wird ihm keine reale Erfahrung entsprechen. Fisslthaler hinterfragt damit nicht nur die Erfahrungsmöglichkeiten von Globalität, sondern von Ganzheit überhaupt. Die Einsicht in die Unvollkommenheit menschlicher Erkenntnisfähigkeit, der sich die Welt in ihrer wachsenden Komplexität nur in Bruchstücken aus unverbundenen Wahrnehmungsfacetten erschließt und insbesondere die Einsicht, dass selbst die Ganzheit eines Individuums keine real erfahrbare Größe ist, durchzieht das gesamte Schaffen der Künstlerin. Fisslthalers Welt bleibt ein brüchiges Kristallbild. (Heidrun Rosenberg, Oktober 2017) gekürzt
Kaum ein verstorbener Mensch weist eine so große, auch gegenwärtig ungebrochen dominante Bildpräsenz auf wie die seit einem halben Jahrhundert tote Schauspielerin Marilyn Monroe. Ihre Körperhaltungen, ihr mediales Erscheinungsbild machen sie zu einer umfassenden Symbolfigur und zugleich Projektionsfläche. In der bildhaften Präsenz der gleichsam „untoten“ Schauspielerin liegt etwas gespenstisch Anmutendes, als ob sie eine Art von Geistererscheinung wäre, die nicht zur Ruhe kommt und Menschen in unterschiedlichen Lebenssituationen immer wieder von Neuem begleitet. Diese „Geistfunktion“ von Marilyn Monroe hat Karin Fisslthaler durch den Eingriff des Ausschneidens der Schauspielerin aus unterschiedlichen Fotos aufgegriffen, verstärkt und neu diskutierbar gemacht. Es sind nicht nur die bekanntesten Fotoposen der Schauspielerin gewählt worden, um diese bewussten Fehlstellen zu komponieren, aber die charakteristische weiße Silhouette ist in allen Bildfolgen unverkennbar – MM platziert sich im Sinne der literarischen Figur eines „Revenant“, eines „Wiederkehrers“, immer wieder neu im kollektiven Gedächtnis. Diese so massiv mit ihrer Präsenz gefüllte weiße Fehlstelle steht zudem für die in jeder Situation des Lebens angestrebte Starfunktion, den Auftritt des Besonderen, der die Aufmerksamkeit aller Beteiligten sofort auf sich zieht: einer Wirkung von Oberflächen, die tief einschneiden und ihre Anwesenheitsspuren in intensivster Deutlichkeit hinterlassen. (Peter Assmann/ Kardinal König Kunstpreis 2013)
Karin Fisslthalers Collage Our Arms won’t get tired (2017) zeigt eine Ansammlung von Protestschildern: Von der Künstlerin gesammelt, ausge- schnitten, ausgedruckt und aufgeklebt, verdichten sich diese Zeichen der Protestkultur zu einem Schwarm von Bild gewordener Unruhe, Unverständnis und Unzufriedenheit mit einem gerade erst gewählten US-Präsidenten und der Ideologie, die er repräsentiert. Den Inhalt der einzelnen Schilder zu erfassen, sich an Haptik und Farbigkeit der Elemente oder an Vielfalt und Phantasie der Slogans zu erfreuen, mag zum Verstehen der Arbeit genügen. Dann ist sie ein Zeitdokument, das Stimmung und Protestkultur Mitte der 2010er Jahre festgehalten haben wird. Bei näherer Betrachtung offenbart sie in ihrer Reduktion jedoch viel mehr: So sind manchmal noch vereinzelt Hände sichtbar, die die Schilder halten, die individuellen Körper hingegen nicht mehr. Sie sind im undurchdringlichen Schwarz des Hintergrundes, aus dem dieser Schilder-Schwarm langsam herauszuwachsen scheint, verschwunden. In einer semiotisch-strukturellen Umkehr werden die Figuren zum Grund dieser dreidimensionalen Foto-Collage, die Anwesenheit tatsächlicher Körper wird überflüssig, um, salopp gesagt, eine revolution zu beginnen. Die Schwarm- Intelligenz der geschriebenen und gemalten Schilder folgt ihrer eigenen Dynamik, ohne Zentrum und Anführerin. Das englische „Arms“ des Titels ist in diesem Zusammenhang doppeldeutig, bezeichnet es doch die Arme, die, da nicht vorhanden, auch nicht müde werden können, und die Waffen, die verselbständigt, ebenfalls weitermachen und eine andere form von Kollektivität ausbilden können.
Zersplitterung und Formfindung sind die beiden Komponenten, die in Karin Fisslthalers Arbeiten, egal ob fotografische Collagen oder Videos, stets eine tragende Rolle spielen. Sowohl Our Arms won’t get tired als auch die Collage Social Network (2017) bestehen aus zerschnittenen und in Einzel- teile zerlegten „Originalen“. Am Beginn vieler Arbeiten der Künstlerin steht eine umfassende Recherche in analogen und digitalen Druckwerken, aus denen Elemente extrahiert, gesammelt und geordnet werden. Danach setzt sie sie erneut in Beziehung zueinander, spiegelt, dreht, wendet, vervielfältigt und differenziert sie. Das Gleiche passiert mit den dadurch konstruierten Bedeutungen. Dieser Prozess ist zeitbasiert ebenso wie die Collage-Technik selbst, die aus dem Zusammenbringen eines verortbaren, zeitlich konsistenten Systems mit einem völlig anderen ihre Kraft generiert, etwas umzudeuten oder gar neu erschaffen zu können.
Im Video Imaging Machine von 2008 ist diese zeitliche Dimension, nicht zuletzt durch das verwendete Medium, ganz offensichtlich, ebenso die damit verbundene Prekarität des Formfindungsprozesses, der bei Fisslthaler immer offenbleibt: Eine Hand schiebt sich aus dem schwarzen Hintergrund heraus Richtung Bildmitte, berührt etwas und zieht sich wieder zurück. Weitere Hände und Arme folgen aus verschiedenen Richtungen, manchmal treffen sie einander im Schwarz des Bildes, scheinen gemeinsam über etwas zu streichen, doch meist tauchen sie vereinzelt auf und wieder ab. Je länger dies dauert, desto mehr wird es möglich, zur Musik eines klassischen, jedoch elek- tronisch verzerrten Hollywoodkino-Scores das zu imaginieren, was berührt wird und begriffen werden soll: Arme, Taillen, Schultern, Haare. Diese sind jedoch nicht sichtbar, Hintergrund und Schauspielerinnenkörper der angeeigneten Filme sind von der Künstlerin digital gelöscht worden. Die Möglichkeit einer Form, die sich verfestigen kann, kristallin wird, geht in einer Choreographie des Gleichen auf. Die Hände berühren zwar und machen dadurch Mechanismen und geschlechtsspezifische Zuschreibungen des klassischen Hollywoodkinos sichtbar. Aber sie berühren einander (noch) nicht.
Dazu kommt es schließlich in der Collage Social Network (2017), einer auf weißem Hintergrund aufgeklebten Sammlung von ausgeschnittenen Armen und Händen, die einander berühren. Die Form dieses unendlich wiederholbaren Motivs nach dem Prinzip der Berührung ist klar. Einzelelemente prägen jedoch durch die farbliche wie textuelle Vielfalt des verwendeten Materials immer wieder neue Motive innerhalb des Musters aus. Selten greift eine Hand ins Leere, und selbst das weist auf die inhärente Zeitlichkeit hin, auf das mögliche Weiterwachsen des Musters zum späteren Zeitpunkt.
Berühren ist etwas anderes als Begreifen, denn letzteres beinhaltet immer die rationale Komponente des Verstehens. in fisslthalers Arbeiten geht es gerade nicht um diese Eroberung und inbesitznahme eines Gegenstandes, eines Körpers oder einer Idee. Als „Handarbeiterin“, deren Arbeiten im Zusammenspiel von Blick und Hand entstehen, weiß sie um die Flüchtigkeit der Sinnstiftung, die in der Berührung zwischen Individuum und Kollektiv, zwischen Hand und Papier entstehen kann.